Das Kind ist Kind. Und sein Kind-Sein in eingebettet in einen Kontext: Kinder leben in einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Umfeld. Dieser Kontext hat eine formende Kraft. Das Aufwachsen von Kindern ist nicht nur Selbstentfaltung sondern Entwicklung in einem sozialen Kontext. So beschreibt es unter anderen Lev Vygotski.

Wollen wir Kinder in ihrem Selbst stärken, können wir das nicht losgelöst vom Kontext angehen. Oder anders gesagt: der Lebensweltbezug ist entscheidend. Und der sind wir, den gestalten wir mit.

 

Unsere neuzeitlich abendländische Lebenswelt ist geprägt von der Anwendung von exakten, harten Wissenschaften wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik (MINT). 

Exaktwissenschaftliche Erkenntnisse sind die Erkenntnisse, die am zweifellosesten gelten, sie sind unser Kontext und haben formende Kraft auf unser Mensch- und Kindsein.

Wollen wir Kinder in ihrem Selbst stärken, ist ein sensibilisiertes Bewusstsein und eine differenzierte Wahrnehmung, was MINT ist, will und kann (und was nicht) hilfreich.

 

Exakte Wissenschaften befassen sich mit Eigenschaften, Abläufen, Programmen, Systemen, Zusammenhängen, Mustern. MINT erklärt uns nicht, wie die Welt "ist", sondern wie Kräfte wirken. Auf der Stufe Kindergarten wird hier von "Beziehungen und Gesetzmässigkeiten" gesprochen. Bereits der Lehrplan Kindergarten 1999 des Kantons Bern hat dazu in der Sachkompetenz das  Richtziel  "Beziehungen und Gesetzmässigkeiten erkennen und darstellen" formuliert und 2004 eine viel beachtete Umsetzungshilfe dazu veröffentlicht.

Unser Projekt je-desto ist eine Weiterführung dieser Entwicklungsarbeit und fokussiert dabei im Speziellen auch auf einen entwicklungsangemessenen Zugang zur Auseinandersetzung mit MINT.

 

„je-desto“ beschreibt "Beziehungen und Gesetzmässigkeiten", es geht also um Verhältnisse und Proportionalitäten, im Unterschied zu „wenn-dann“, da geht es um Ursache und Wirkung.

Proportionalitäten lassen Spielraum zu, denn wichtig ist hier nicht die eine genaue Lösung, sondern das Prinzip. Oder anders gesagt: das Wirken der Kräfte. Zum Beispiel: je länger eine schwingende Saite, desto tiefer der Ton. Je kürzer, desto höher. Aber ob der Ton ein g oder cis ist, ist völlig Wurst.

Wollen wir Kinder in ihrem Selbst stärken, ist das Spiel mit dem Wirken der Kräfte zielführend.

 

Denn Kräfte stehen in Beziehung zueinander, Kräfte wirken in Beziehungen und nach Gesetzmässigkeiten, sind verbunden miteinander in Systemen, Kreisläufen und grösseren Zusammenhängen. Einzelne Wissenschaften wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik, fokussieren auf einzelne Aspekte des grossen Ganzen. Kinder nehmen die Welt nicht in dieser Weise wahr, alles ist mit allem verbunden, beseelt. Die Welt besteht eben nicht nur aus MINT. Aber MINT ist ein grosser, prägender Teil von ihr. Daher: Wollen wir Kinder in ihrem Selbst stärken, müssen wir ganzheitlich wirken - auch im Spezifischen.

 

Der Lehrplan 21 geht sehr ins Spezifische, ist in den Kompetenzbeschreibungen der einzelnen Fachbereiche äusserst detailreich. Dadurch kann der falsche Eindruck entstehen, dass Kompetenzen aufzubauen einem atemlosen Erledigen gleich komme. Aber: der Kindergarten kennt seit seinem Lehrplan 1999 einen  kompetenzorientierten Lehrplan  - auf der Stufe Kindergarten besteht  also eine fast 20 jährige Erfahrung , wie Kompetenzen gefördert werden können: aufbauend auf den Voraussetzungen, ganzheitlich, vernetzend, gemeinsam. Kompetenzen aufzubauen heisst, Situationen zu bewältigen, nicht sie nur zu erledigen. Situationen zu bewältigen aktiviert und schafft Raum für viele Aspekte des Kind-Seins: das Wissen, das Können aber auch das Wollen, das Sich-Angesprochen-Fühlen, das Sich-Engagieren, das Sich-Organisieren, das gemeinsame Tun,….

 

Kompetenzen beziehen sich auf ein konstruktivistisches Lernverständnis, das heisst, es wird davon ausgegangen, dass sich jedes Kind die Welt selbst "erbauen", verstehen, aneignen muss.  Wassilios Fthenakis streicht bei diesem Erbauen  zwei wertvolle Gedanken besonders hervor: als Kind bin ich in diesem Prozess der "Welterbauung" nicht alleine, sondern er spielt sich  im ständigen Austausch mit den Menschen um mich ab. Und zweitens bringe ich als Kinder immer schon Erfahrungen mit, Lernen heisst daher vor allem Kompetenzen erweitern – und gerade darum ist es so wichtig zu wissen, was denn die konkreten Voraussetzungen sind. 

 

Im Freispiel sind Kinder autonom und selbstaktiv, ihr Inneres äussert sich in ihrem Tun. Durch Beobachtung nud Dialog erfahren wir als Lehrperson, wo sie Kinder stehen und damit auch, wo wir mit unserer Arbeit anknüpfen und wo hin wir die Kinder begleiten können.