Bedeutung der Institution Kindergarten

Der Kindergarten als erste staatliche Bildungsinstitution hat eine wichtige gesellschaftliche und pädagogische Funktion. Mit der Einführung des Lehrplans 21 zählen die zwei Jahre Kindergarten nun in allen Deutschschweizer Kantonen zu den 11 Jahren obligatorischer Schulbildung.

Gesellschaftlich betrachtet hat der Kindergarten mehrschichtige Wirkungsebenen, nebst der Förderung aller Kinder übernimmt er auch immer für einzelne Kinder oder Kindergruppen kompensatorische und integrative Aufgaben. Ebenfalls spielt die Zusammenarbeit mit Eltern, Speziallehrpersonen, Institutionen und weiteren Beteiligten eine zentrale Rolle.

Pädagogisch betrachtet ist die Aufgabe nicht minder komplex; die frühkindliche Art zu Lernen stellt hohe Anforderungen an die Kompetenzen der Lehrpersonen in der Gestaltung und Begleitung der Lernprozesse im Kindergarten. Zur fachlichen Kompetenz kommen hier unter andern vor allem das Wissen über entwicklungspsychologische Grundlagen aber auch das Analysieren von individuellen Voraussetzungen wie auch das Integrieren von gesellschaftlichen Veränderungen in die pädagogische Arbeit hinzu. Nur in dieser Komplexität gelingt auf der Stufe Kindergarten eine Didaktik, die das Kinder in der Weiterentwicklung seiner Kompetenzen fördert und fordert.

 

Bildungsauftrag auf der Stufe Kindergarten

Der Kindergarten blickt seit seiner Gründung im Jahre 1840 auf eine bewegte und bewegende pädagogische und gesellschaftliche Geschichte. Im Rahmen unseres Projektes konzentrieren wir uns auf die letzten 20 Jahre der Kindergartengeschichte. Und seit dieser Zeit kennt der Kindergarten einen klaren und fortschrittlichen  Bildungsauftrag. Besonders hervorgehoben gehören unseres Erachtens zwei Errungenschaften in diesen 20 Jahren, die auch von Wannack (2008) betont werden: zum einen die Einführung des Kindergartenobligatoriums in den meisten Kantonen ab 1999 und die Einführung des Berner Lehrplans für den Kindergarten, ebenfalls im Jahr 1999. Bemerkenswert ist hier, dass dieser Lehrplan von 10 anderen deutschsprachigen Kantonen (AG, BS, FR, LU, NW, OW, SZ, UR, VS, ZG) übernommen und als verbindlich erklärt wurde. Auf der Stufe Kindergarten hat also bereits vor dem PISA-Schreck eine tiefgreifende pädagogische Weiterentwicklung stattgefunden und eine Harmonisierung der Bildungsziele – nicht verordnet und  lange vor dem Lehrplan 21.

Aktuell hat der Lehrplan 21 den Lehrplan Kindergarten abgelöst und bezüglich Bildungsauftrag teilen sich Kindergarten und  1./2. Klasse gemeinsame Kompetenzbeschreibungen (Zyklus I). Die kantonalen Versionen und Umsetzungen des Lehrplans 21 unterscheiden sich im Zyklus I teils massiv. So gibt es unterschiedliche empfohlen und sogar obligatorische Lehrmittel je nach Fach und Kanton. Das rührt unter anderem daher, dass einige Kantone die entwicklungsorientierten Zugänge dem Kindergarten zuordnen und die Fachkompetenzen dem 1./2. Schuljahr, während andere Kantone hingegen im Zyklus I Orientierungspunkte in den Fachkompetenzen setzen und damit der Stufe Kindergarten verbindliche Fachkompetenzen zuordnen. Die originäre Version des Lehrplans 21 hat das Lernen in den ersten vier Jahren der Volksschule von der Entwicklungsorientierung hin zur Fachstruktur als Kontinuum beschrieben, der Kanton Bern zum Beispiel hat diese originäre Version übernommen.

Der Bildungsauftrag im Kindergarten im Kanton Bern erstreckt sich also mit dem Lehrplan 21 von den entwicklungsorientierten Zugängen, über die fachlichen Kompetenzen und den Kompetenzen aus dem Modulen hin zu den überfachlichen Kompetenzen.

 

Gut 20 Jahre Erfahrung mit kompetenzorientiertem Unterrichten

Der weitverbreitete Berner Kindergartenlehrplan 1999 orientierte sich bereits an Kompetenzen, er gilt als belastbares Modell und liefert daher gut 20 Jahre Erfahrung mit kompetenzorientiertem Unterrichten. Trotzdem gilt es im Hinblick auf den Lehrplan 21 Entwicklungsbedarf zu beachten.

Es gibt im deutschsprachigen Raum unterschiedliche Kompetenzbegriffe, eine kurze Klärung dieser verschiedenen Konzepte hilft, den Entwicklungsbedarf zu klären. Der Berner Kindergartenlehrplan 1999  folgte dem Kompetenzbegriff von Roth. Dieser führte den Begriff Kompetenz 1971 im deutschsprachigen Raum in die Erziehungswissenschaften ein. Roth verstand Mündigkeit als höchste Kompetenz für verantwortliche Handlungsfähigkeit. Die Handlungsfähigkeit teilte er ein in die Bereiche Selbst-, Sozial- und Sachkompetenz, so wie sich der auch der Berner Kindergarten Lehrplan 1999 gliederte. Typisch für dieses Modell sind fachunspezifische Kompetenzbereiche.

Im Rahmen der KliemeExpertise und PISA-Studie werden Kompetenzen anders definiert, entsprechend der Definition von Weinert (2001). Er beschreibt Kompetenzen als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“ Typisch für dieses Modell sind die Domänenspezifikation und Kontextabhängigkeit, das heisst, es wird davon ausgegangen, dass  vermeintlich übergeordnete Kompetenzen, wie zum Beispiel die Problemlösefähigkeit, immer abhängig ist von ihren Gegenstandbereich und Kontext und nicht losgelöst von diesen betrachtet werden kann. Typisch für dieses Modell sind also fachspezifische Kompetenzbereiche, wie zum Beispiel im Lehrplan 21.

Trotz dieses Unterschieds im Kompetenzbegriff kann man sich in der Umsetzung des Lehrplans 21 auf die gut 20 Jahre Erfahrung des Kindergartens beziehen. Zum einen hat der Berner Lehrplan Kindergarten 1999 im Bereich der Sachkompetenz bereits fachspezifische Kompetenzen formuliert, zum anderen bauen alle Kompetenzen aller Bereiche des Lehrplans 21 auf fachunspezifische Handlungsaspekte wie wahrnehmen, ausdrücken, ordnen, vergleichen, etc.

 

Zum Beispiel MINT-Förderung im Kindergarten

Der Lehrplan Kindergarten 1999 hat im Bereich der Sachkompetenz das  Richtziel  "Beziehungen und Gesetzmässigkeiten erkennen und darstellen" formuliert und 2004 eine viel beachtete Umsetzungshilfe dazu veröffentlicht. Es wurden Grobziele formuliert wie „Abfolgen in gestalterischen Motiven, Musikstücken, Versen, Tänzen wahrnehmen und umsetzen“, „mathematische Beziehungen erfahren“, „Zeitabschnitte wahrnehmen“ und „physikalische Gesetzmässigkeiten beschreiben“.

Unser Projekt ist eine Weiterführung dieser Entwicklungsarbeit und fokussiert dabei im Speziellen auch auf einen entwicklungsangemessenen Zugang zu MINT mit explizitem Lebensweltbezug.