Kompetenzbegriff in unserem Projekt

Wir orientieren uns an Kompetenzen. Kompetenzen bestehen aus Handlungs- und Inhaltsaspekten. Zum Beispiel die Kompetenz NMG 2.3.b: „ Die Schülerinnen und Schüler können Wachstum und Entwicklung bei Pflanzen und Tieren beobachten, zeichnen und beschreiben“ – „Wachstum und Entwicklung bei Pflanzen und Tieren“ entspricht dem Inhaltsaspekt, während die Verben „beobachten, zeichnen und beschreiben“ den Handlungsaspekt bilden, also das, was die Kinder konkret können sollen.

In unserem Projekt stehen auf der Stufe Kindergarten die Handlungsaspekte im Vordergrund – denn im Kindergarten wird zwar nie inhaltslos gearbeitet, aber im Fokus stehen die Handlungsaspekte, während die Inhaltsaspekte die Beispiele liefern, anhand derer Kompetenzen aufgebaut werden. Inhaltsaspekte sind auf der Stufe Kindergarten austauschbar, unsere Arbeit konzentriert sich auf die Handlungsaspekte und deren Voraussetzungen und Gelingensbedingungen. Zum Beispiel das oben genannte „zeichnen“, ob es eine Blume, ein Mensch, ein Haus, eine Schneeflocke oder Feder sein soll, steht an zweiter Stelle. An erster Stelle stehen Fragen nach den Voraussetzungen des Zeichnen-Könnens wie Wahrnehmung des Auftrags, Verstehen des Auftrags, Augen-Hand-Koordination, Stifthaltung, Graphomotorik, Arbeitsplatzorganisation, Konzentration und Durchhaltevermögen, Umgang mit Misserfolg etc. Somit wäre auch geklärt, dass Inhaltsaspekte im Kindergarten an zweiter Stelle stehen, nicht, weil sie nicht als wichtig erachtet würden, sondern weil in der Arbeit mit jungen Kindern nur ein sehr langer Weg zu ihnen führt.

Wir haben alle Handlungsaspekte aller Kompetenzen des Zyklus I 21 den Kompetenzbereichen nach Roth zugeteilt, wobei die Sachkompetenz um die Methodenkompetenz erweitert wurde. Die Einteilung ergibt sich aus der Logik, dass wir die Handlungsaspekte bewusst aus ihrer fachlichen Einbettung rausgelöst und neu angeordnet haben. Diese neue Anordnung der Kompetenzen entspricht einer kindgerechten Herangehensweise und soll als Denkmodell auch auf Fachverbindungen aufmerksam machen und so das kumulative Lernen fördern – gerade auch in der Arbeit mit dem fachorientierten Lehrplan 21 (mehr dazu siehe hier).

 

Kompetenzförderung als Biographiearbeit

Ein wichtiger Bestandteil von Bildungsarbeit auf der Stufe Kindergarten ist der Einbezug der Voraussetzungen der Kinder, siehe dazu auch das Kapitel zur Stufenplanung. Etabliert hat sich dabei die Leseweise, dass zu den Voraussetzungen vor allem der Entwicklungsstand zählt, auf den durch Beobachtung rückgeschlossen werden kann. Weniger gängig ist die Leseweise, dass zu den Voraussetzungen auch Erfahrungen und fachliches Vorwissen gehören. Es gibt verschiedene Erklärungsebenen, warum dem so ist: zum einen sind Erfahrungen schlicht nicht fachspezifisch, zum anderen fehlt es im Kindergarten an fachlichen Settings, in denen Aktivitäten der Kinder beobachtet und dann auf ihr fachliches Vorwissen rückgeschlossen werden kann. Jungen Kindern ist es im Unterschied zu älteren Kindern nämlich nicht möglich, ihr fachliches Vorwissen sprachlich oder gestalterisch zum Ausdruck zu bringen. Aber sehr wohl im konkreten Handeln und hier leistet unser Projekt eine wichtige Entwicklungsarbeit zur Kompetenzförderung von Kindergartenkindern.

Im Rahmen unseres Projektes haben wir im gestalteten Freispiel ein Setting gefunden, das uns erlaubt, durch Beobachten der Spielprozesse der Kinder auf ihr Vorwissen rückzuschliessen und somit die kleinkindlichen Hindernisse beim Ausdruck von Vorwissen zu überwinden. In dieser Umsetzungshilfe zur Kompetenzförderung im Freispiel finden sich 21 konkrete Ideen, die es erlauben, durch Beobachtung der spielenden Kinder auf ihr Vorwissen rückzuschliessen, die Spielgestaltung und Spielbegleitung entsprechend zu justieren  und an zu passen. Aber zuerst zurück zur Frage, warum das Vorwissen so wichtig sein soll.

 

Einen Lernprozess mit Theorie zu beginnen, macht nach aktuellen Erkenntnissen wenig Sinn. Theorie kann keine Grundlage für Lernprozesse sein, denn Theorie beansprucht unser Denken und belastet damit unser Gehirn. Hattie (2015) unterstreicht in seiner Arbeit immer wieder die Erkenntnisse von Willingham (2009), wonach das Gehirn nicht zum Denken ausgelegt ist – denn Denken ist ein langsamer, schwerfälliger und hochgradig unsicherer Prozess. Viel zielführender ist es, sich auf das Gedächtnis zu verlassen, zum Beispiel eben uns in Erinnerung zu rufen, was wir zu einem bestimmten Thema schon erfahren haben. In der Auseinandersetzung mit Erfahrungen und Vorwissen können auch Wissenslücken aufgedeckt werden und die können uns motivieren. Denn laut Hattie (2015) werden wir neugierig, wenn wir eine für uns bedeutungsvolle Wissenslücke erkennen und dazu die Mittel, um sie zu schliessen. Darum ist es in unserem Projekt wichtig, dass die Kinder in dem Setting, in dem sie ihr Vorwissen handelnd zum Ausdruck bringen und von uns Lehrpersonen begleitet und auf Wissenslücken aufmerksam gemacht werden, im selben Setting auch die Mittel vorfinden, um diese Lücken zu schliessen und damit ihre Kompetenzen zu erweitern. Das gestaltete und begleitete Freispiel ist daher das Setting unserer Wahl.

Erfahrungen sind zumindest bei kleinen Kindern nicht fachspezifisch organisiert, sondern meist an Kontexte mit emotionaler und sozialer Bedeutung gebunden. Somit ist die Auseinandersetzung mit Vorwissen auch immer ein Stück Biographiearbeit. So kann im Kindergarten manchmal ein bedeutungsvolles „aber meine Mama hat gesagt….“ einem fachlichen Erklärungsversuch hartnäckig den Weg versperren. Für kleine Kinder sind emotional wichtige Personen auch verlässliche Quellen von Informationen, was Mama sagt, muss stimmen. Und genau hier zeigen sich die Unterschiede von frühem sozialem Lernen zur schulischen Bildung: plötzlich über das doch schon Bekannte hinauszudenken sollen bringt eine neue Dimension in die eigene Entwicklungsgeschichte.

 

MINT-Kompetenzerweiterung als Biographiearbeit

In der fachdidaktischen Sprache nennt man diesen Übergang von Alltagserklärungen zu fachlichen Erklärungen „Konzeptwechsel“, wobei einige Wissenschaftler wie zum Beispiel Vosniadou (1992) betonen, dass von einem Wechsel keine Rede sein kann, sondern es sich dabei viel eher um anstrengende „Konzept –Rekonstruktionen“ handelt, die keinesfalls freiwillig geschehen. Immer dann, wenn Kinder durch aktiven Umgang an die Grenzen ihrer Erklärungsmuster stossen, umdenken und ausprobieren müssen, stehen die Chancen gut, dass die Rekonstruktion von Konzepten gefördert werden kann. Immer im Wissen darum: dieser Prozess braucht Zeit und Fingerspitzengefühl. Denn bei jungen Kindern geht es bei Konzept-Rekonstruktionen nicht nur um das Umorganisieren von mentalen Modellen, sondern es sind soziale und emotionale Aspekte im Vordergrund und damit nicht weniger als Teile ihrer Biographie.